Die STALAG-Gedenkstätte ist überfällig – Gegen die erinnerungspolitische Wende der Höckisten

Kreuzgrupe: Mahnmal von Josef Rikus auf dem Ehrenfriedhof Stukenbrock-Senne für sowjetische Kriegsgefangene.

In der gestrigen Sitzung hat der Paderborner Rat einstimmig den AfD-Antrag abgeschmettert, sich gegen die Finanzierung des STALAG auszusprechen. Die grüne Position markierte Joe Menze. Statt um die Finanzen der Stadt gehe es den „Höckisten“ in Wahrheit um menschenverachtenden Geschichtsrevisionismus. Es sei längst überfällig, die Schicksale der sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem „Erinnerungsschatten“ zu holen. Die Unterstützung der STALAG-Gedenkstätte ist aus Sicht der Grünen geboten.

Aus dem Blickwinkel seiner Kriegsgeneration appellierte Hartmut Hüttemann in einer sehr persönlichen Rede, den Erinnerungsort in Stukenbrock zu schaffen und nicht zu verhindern. Seitens der SPD wurde die „Vogelschiss“-Haltung der AfD kritisiert. Der Antrag bekam nur zwei AfD-Stimmen, weil ein anwesender AfD-Ratherr bewusst nicht mit abstimmte.

Der grüne Wortbeitrag:

Wo bleibt die Erinnerung an die Opfer?

„Der Antrag der AfD-Fraktion ist blanker Hohn angesichts der Opfer, die im STALAG zu beklagen sind. Väter, Söhne, Brüder kehrten nie wieder zu ihren Familien zurück. Ein Verlust, der mit nichts in der Welt wieder gutzumachen ist.

Die Logik hinter diesem AfD-Antrag hat deren Ehrenvorsitzende auf den Punkt gebracht. Zitat: „Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Und das sprechen wir auch aus. Deshalb haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen.“  Das Zitat stammt von dem Ehrenvorsitzende mit der Dackelkrawatte und Vogelschiss-Vergleich.

Statt um die Finanzen der Stadt geht es den Höckisten mit diesem Antrag in Wahrheit um menschenverachtenden Geschichtsrevisionismus. Ihr Heulen und Zähneklappern über die städtischen Finanzen halte ich für eine ziemliche Heuchelei. In Wirklichkeit geht es ihnen geht um eine „erinnerungspolitische Wende um 180°“

Die lehnen wir ab. Und zwar nicht wegen des AfD-Briefkopfes auf dem Antrag, sondern aufgrund bedrückender historischer Ereignisse. Wo bleibt die Erinnerung an die Opfer?

Am 2. April des Jahres 1945 befreite die US-Armee sowohl die Häftlinge des KZ Wewelsburg Niederhagen als auch die sowjetischen Kriegsgefangenen im STALAG 326 zwischen Hövelhof, Stukenbrock und Schloß Holte. Diejenigen gut 9.000, die dort überlebt haben.

Neben den Überlebenden entdeckten die Amerikaner 36 Massengräber, jeweils 112 Meter lang. Wie viele Leichen darin verscharrt worden sind, ist bis heute nicht genau bekannt. Mehr als 310.000 Kriegsgefangene waren im Stalag. Man geht von allein 65.000 toten Sowjetsoldaten aus. Unvorstellbare Zahlen, die wenig über das Leid und die Grausamkeit auszusagen vermögen.

Wir debattieren nicht über ein normales Kriegsgefangenenlager.

STALAG 326 römisch VI K Senne – hinter dieser bürokratischen Chiffre verbarg sich ein faschistisches Vernichtungslager, wo sowjetische Kriegsgefangene systematisch durch Hunger, Krankheiten und Zwangsarbeit geschwächt und umgebracht wurden. Ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 1941 höhnte über “bolschewistisches Untermenschentum in deutscher Gefangenschaft”.  Die Kriegsgefangenen seien “das Primitivste und Niedrigste, das zur weißen Rasse zählt.”

Niederhagen und Stalag – zwei Orte unweit von Paderborn entfernt, zwei Tatorte des einen nationalsozialistischen Terrorregime, das darin wurzelte, dass nur das Recht des Stärkeren gelte, und dass der Stärkere das Recht habe, über das Lebensrecht der Anderen zu entscheiden, über ihren Wert, über ihren Unwert ihres Lebens.

Nie wieder! Schaut hin! Seht euch an, was diese Politik hervorgebracht hat! Blickt in diesen Abgrund!

Und wir können heute lernen und müssen handeln. Im Kontext der Gedenkstätten werden in mühevoller Arbeit Schicksale rekonstruiert, werden Angehörige von Opfern, die von weit her kommen und die nach Spuren der Erinnerung an ihre Väter oder Großväter suchen, liebevoll betreut und begleitet, vermitteln Projekte mit Schüler*innen und Führungen Geschichtsbewusstsein. Insbesondere beim Stalag haben ehrenamtlich Engagierte Spuren ausfindig gemacht und die Erinnerung wachgehalten.

Unsere grüne politische Abwägung lautet: Die Beteiligung an den Betriebskosten ist sehr gut vertretbar und finanziell leistbar.

In den nächsten fünf Jahren soll aus der von Ehrenamtlichen getragenen Gedenkstätte ein Erinnerungsort von nationaler Bedeutung entstehen. Die zentrale Gedenkstätte in Deutschland für die Opfergruppe der sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Gefangenschaft und Zwangsarbeit.

Fast achtzig Jahre nach der Befreiung gilt es, wie Bundespräsident Gauck erklärt hat, „das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem Erinnerungsschatten heraus zu holen.“ Unsere Beteiligung an der Gedenkstätte ist nicht nur ausdrücklich gut. Sie ist längst überfällig. Wir Grünen lehnen den AfD-Antrag ab.“

Bild: Mahnmal von Josef Rikus auf dem Ehrenfriedhof Stukenbrock-Senne für sowjetische Kriegsgefangene.