“An Möglichkeiten gewonnen” – Politische Rede von Norika Creuzmann

Alter Kreisvorstand: Carsten Birkelbach, Gerda Werth und Norika Creuzmann

„Politik ist weder eine Wissenschaft noch eine Kunst, sie ist nicht einmal ein Handwerk. Sie ist ein von Tag zu Tag sich neu orientierender Pragmatismus, der bemüht sein muss, die Macht und deren Möglichkeiten übereinander zubringen“. Ich erinnerte mich wieder an dieses Zitat von Heinrich Böll, als Annalena Baerbock ihre Kanzlerinnenkandidatur erklärte. Wir saßen seinerzeit alle vor unseren Rechnern und Smartphones und hielten uns gegenseitig auf dem Laufenden, was dort historisch Bedeutsames geschah.

„Die Macht und deren Möglichkeit“ – darüber ließe sich stundenlang philosophieren. Wir Grünen stehen vor der Möglichkeit, eine Kanzlerin zu stellen und seitdem spekulieren Journalisten und Politiker aller Couleur, was das für Deutschland und für Europa bedeuten würde. Für mich klang das unschöne Wort „Macht“ immer sehr ungrün. Macht hatten immer die anderen und wir wollten immer die Macht dieser anderen brechen – und wurden dann der kleinere Koalitionspartner oder fanden uns gleich auf den harten Bänken der Opposition wieder.

Und plötzlich bin ich selbst Fraktionsvorsitzende im Kreistag, wir haben die absolute Mehrheit der CDU im Kreis gebrochen. Damit habe ich gewiss keine Macht und würde dies auch gar nicht wollen. Aber ich habe, so sagt es ja auch Heinrich Böll, Möglichkeiten. Das merke ich schon daran, dass sich unsere Stellungnahmen häufiger in den Medien finden und dass gelegentlich Journalisten für einen Gedankenaustausch anrufen.

Wir Grünen haben, liebe Freundinnen und Freunde, unglaublich an Möglichkeiten gewonnen. Einen grün geprägten Koalitionsvertrag mit der CDU auf Stadtebene. Eine ebenfalls starke und hoch motivierte Fraktion im Kreis. Wir haben es geschafft, die Landkarte des Kreises Paderborn grün zu färben: Es gibt nämlich keine weißen Flecken mehr darauf, in jeder Stadt und in jeder Gemeinde gibt es einen grünen Ortsverband und eine Ratsfraktion. Darauf bin ich sehr stolz. Denn mit dem Beginn meines Fraktionsvorsitzes endet jetzt auch nach zehn Jahren mein Amt als Kreisvorsitzende.

In diesen zehn Jahren hat sich unglaublich viel ereignet.

Als ich mir so meine Gedanken machte, welche Ereignisse ich kurz Revue passieren lassen möchte, sah ich viele Entwicklungen wie im Zeitraffer an mir vorbeiziehen. An unsere Neujahrsempfänge denke ich beispielsweise sehr gerne. An den Fischteichen haben wir uns damals getroffen und zogen 2013 hierher in den Haxterpark. In den letzten Jahren war der Andrang so groß, dass wir 2020 in die KatHO ausweichen mussten. Illustre Gäste gaben sich hier die Klinke in die Hand. Reinhard Bütikofer war hier, Cem Özdemir, Sylvia Löhrmann, Britta Haßelmann und und und, und wir hatten stets gute Beiträge, gute Themen – einfach eine gute Performance und zuletzt füllte uns  Franz Alt die Aula der katholischen Hochschule.

Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir Grünen nicht auf Rosen gebettet lagen. Wenn ich nur an den heftigen Streit 2011 und 2012 über den Nationalpark Teutoburger Wald und Senne denke, erinnere ich mich gerne an das Gefühl starker Gemeinschaft bei uns Befürworter*innen – und habe mit Grausen das peinliche bis unverschämte Auftreten der Gegner*innen vor Augen. Ich sage nur: Umweltminister Johannes Remmel auf dem Velmerstot und die brüllende Meute, die sogar Bäume fällten, um den Besuch zu verhindern. Damals hatten wir so ein riesiges weißes Banner im Gepäck mit der Aufschrift „Nationalpark jetzt“, das wir dort entrollten – genau wie vorher verbotenerweise vom Hermanns Denkmal runter und später noch einmal bei einigen spektakulären Drohnenaufnahmen in der Senne und einem Landesparteitag.

2012, Landtagswahlkampf. Mit Schulministerin Sylvia Löhrmann in der Westernstraße – bei strömendem Regen, das Foto fiel mir just in die Hände. Dann zogen die ersten dunklen Schatten auf: 2015 gab es schließlich die erste AfD-Demo in Salzkotten, der leider noch viele folgen sollten. Sogar Bernd oder Björn Höcke verbreitete auf dem Rathausplatz in Paderborn seinen verbalen Unrat – aber wir Grünen waren immer in der vordersten Reihe bei den Gegendemos dabei.

Eine Folge der gestiegenen Flüchtlingszahlen: Die Seebrücken. In Paderborn hielten wir eine viel beachtete Mahnwache. Bad Lippspringe wurde Teil der Seebrücke, Leben retten ist kein Verbrechen. Es geht uns um Menschlichkeit. Gegen Abschiebehaft machen wir uns auch stark.

Und eines Tages hatte der Neptun auf dem Marktplatz eine rosa Mütze auf,   ein Pussyhat. „Männer haben Denkmäler – Frauen haben Zukunft“ hieß der Slogan zum Weltfrauentag im März 2017. Was, wie ich finde, einer Partei mit Frauenstatut sehr gut zu Gesicht stand.

Fast schon ein Volksfest war die große Demo am Hambi, für die wir mit den Umweltverbänden einen Bus organisiert hatten. Dass sich der Spruch auf unseren Aufklebern. „Der Hambi bleibt“ verwirklichen würden, hätten wir damals kaum zu hoffen gewagt. Irgendwie wurde mit der Zeit alles immer grüner.

Zum Beispiel auch bei der Landesgartenschau in Bad Lippspringe. Ich hatte damals zusammen mit Gerda,  nicht als Grüne, aber als Teil der  Umwelt-Bildungs-Initiative OWL, die Urban-Gardening-Ausstellung mit auf den Weg gebracht, die bei Johannes Remmel wie auch bei Hannelore Kraft viel Anerkennung fand. 

Fukushima, Tschernobyl: Mahnwachen und Aktionen gegen die Atomkraft waren und sind für uns immer selbstverständlich.

Und: Zehn Jahre bedeuten auch eins – viele Wahlkämpfe. Das sind die Mühen der Ebene, ich sage es euch. Wahlkampftreffen, Ideen finden, Aktionen vorbereiten, mit den Bürgern sprechen, permanente Überzeugungsarbeit leisten. Das ist anstrengend und man darf nicht empfindlich sein. Nicht gegen Sonne oder Regen – und nicht gegen die merkwürdigen Gedankenwelten von Grünen-Kritikern. Aber man lernt auch viele großartige Leute kennen. Mehr als einmal holte ich mir aus kurzen Gesprächen weitere Motivation – einfach, weil die Menschen mit mir das Gefühl teilten, das Richtige zu tun. Kaum verteilt man die ersten Flyer, da steht man auch schon auf einer Reserveliste. 2017 trat ich dann erstmals als Landtagskandidatin für den Kreis an. Und im vergangenen Jahr wurde ich (notgedrungen) Landratskandidatin. Ich sage euch: Es ist wirklich komisch, wenn man sich selbst von Großplakaten herab lächeln sieht. Da werde ich mich wohl nie dran gewöhnen. Eher gewöhne ich mich daran, vor einer größeren Menge zu sprechen. Anfangs bin ich schier gestorben vor Aufregung. Für den ersten Neujahrsempfang haben Michael Rinker und ich gemeinsam mehrere Stunden unsere Rede vorbereitet. Meine Bewerbung bei der LDK war auch so eine Nummer. Und 2019 die Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld war auch nicht ohne. Damals erreichten wir einen einstimmigen Bundesparteitagsbeschluss zum Nationalpark Senne. Kein Wunder also: Mit unseren Themen und unserer Performance sind wir im Bezirk und auch auf Landesebene gut bekannt.

Und sogar in Eisennach, mit denen wir eine ungewöhnliche wie fruchtbare Partnerschaft auf die Beine gestellt haben. Der Austausch an Ideen und die gegenseitige Unterstützung funktionieren richtig gut!

Ich könnte noch Stunden über viele Erfolge und auch Misserfolge der letzten 10 Jahre erzählen, aber dann sitzen wir hier heute Abend noch. Es läuft also.

Dank an Carsten und Gerda

Das sieht man nicht nur daran, dass wir 2011 nur einen Kreisgeschäftsführer hatten – und jetzt drei Mitarbeiter beschäftigen können. Man sieht es auch an unserer Wette. Ich hatte bei unserem letzten Neujahrsempfang 2020 gewettet, dass wir es schaffen würden, vor Ende des Jahres die Mitgliederzahl 400 zu knacken. Die Wette habe ich gewonnen. Wer hat aus reiner Freundschaft dagegengehalten? Natürlich der, der an all diesen erzählten Erfolgen mindestens so viel Anteil hatte wie ich. Nämlich Carsten.

Lieber Carsten, deine ruhige Art, deine stete Zuversicht, deine unglaubliche Kompetenz in so vielen Dingen war mir immer wie ein sicherer Hafen vorgekommen.

Nie hätte ich mich auf so manches Wagnis eingelassen, wenn wir nicht immer so toll zusammengearbeitet hätten. In mancher dunklen Stunde, wenn andere Parteien über uns herfielen oder wenn es mal intern etwas knirschte, da reichte oft ein Anruf, um die Sache zu glätten. Mein Dank dafür ist dir stets gewiss und es ist mir eine große Freude, dass wir unseren gemeinsamen Weg in der Kreistagsfraktion weiter fortsetzen können. 

Oft im Hintergrund, aber eigentlich die wichtigste Person, ist Gerda, unsere Schatzmeisterin. Sie hat unsere Finanzen sortiert, eine Finanzplanung auf den Weg gebracht und immer darauf geachtet, dass wir auch am Jahresende noch in der Lage waren Gehälter und Rechnungen zu für bezahlen. Gerda vertraue ich blind.

Mein Dank gehört auch all denen im Kreisvorstand, die in den vielen Jahren auf zahllosen Sitzungen unsere Arbeit unterstützt haben. Und das zuletzt unter erschwerten Bedingungen. Kaum fand sich der Kreisvorstand zusammen , ereilte uns die Pandemie.

Weiter fortsetzen wollen wir auch Grüne Politik. Und zwar auf allen Ebenen. Ich möchte die Ortschaften grüner machen, ich möchte den Kreis grüner gestalten. Auf Landesebene möchte ich in der ersten Reihe stehen, wenn der Nationalpark Senne eines Tages Wirklichkeit wird, ich möchte Frauenpolitik gestalten und einer Ina Scharrenbach vors Schienbein treten und ihr vorrechnen, was man mit 1,5 Millionen Euro in der Fraueninfrastruktur anfangen kann. Ich möchte Annalena als Bundeskanzlerin sehen und helfen, dass sich ihr Erfolg in ganz Europa verbreitet. Und ich werde immer ein wachsames Auge haben auf unsere Experten am rechten Rand der Politik.

Dann werde ich nicht nur mit allen Möglichkeiten, sondern mit aller Macht gegen Menschenverachtung und Nationalismus vorgehen.

Liebe Freundinnen und Freunde, so manches Mal habe ich in gewissen (seltenen!) Momenten gedacht, dass irgendwann der Tag kommen möge, an dem ich das nicht unanstrengende Amt der Kreisvorsitzenden loswerde. Und jetzt ist dieser Tag da – und was soll ich sagen? Es erfüllt mich doch tatsächlich mit Wehmut, dass dieser Abschnitt für mich endet.  Aber: Neue Besen kehren gut! Freuen wir uns auf neue Gesichter im Kreisvorstand.

Denn: „Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben“. Und das hat auch Heinrich Böll gesagt. Ich danke euch. Ich danke all meinen Unterstützer*innen und vor allem meiner Familie, denn ohne diesen Rückhalt wäre das alles nicht möglich gewesen.