“Am Ziel sind wir noch lange nicht” – Norika Creuzmann zu 100 Jahren Frauenwahlrecht

Es musste immerhin ein Kaiser abdanken, bevor heute vor 100 Jahren endlich das Wahlrecht für Frauen in Deutschland eingeführt  wurde. Dass das Wahlrecht grade einmal drei Tage nach dem Ende der Monarchie Wirklichkeit wurde, ist in meinen Augen wieder einmal typisch. Es war nämlich die Revolutionsregierung, also der so genannte Rat der Volksbeauftragten, die diesen Schritt endlich in die Tat umsetzten. Denn bereits beim ersten Internationalen Frauentag im Jahr 1911 galt die Parole “Wir sind Staatsbürgerinnen und wollen als solche behandelt sein”. Dies sagte damals Marie Juchacz von der SPD (Grüne gab es ja noch nicht – schade eigentlich). 

Verbunden mit dem aktiven Wahlrecht war natürlich auch das Passive: Unter den 421 Abgeordneten, die in die Nationalversammlung letztlich einzogen, waren nur 37 Frauen, was einer Quote von knapp 9 Prozent entspricht. Heute, 100 Jahre später, liegt die Quote im Bundestag bei 30,7 Prozent. Das finde ich total beschämend – noch mehr: Diese Zahl ist unerträglich. Denn da klafft noch eine knapp 20 Prozent große Lücke. Diese muss geschlossen werden. Das ist eine riesen Aufgabe, aber ich werde nicht locker lassen. An dieser Stelle werde ich so richtig unbequem und ich höre nicht auf, immer wieder den Finger in die Wunde zu legen. 

Kann mir irgendwer plausibel erklären, warum das so ist? Warum nicht die Hälfte der politischen Verantwortung in Händen von Frauen liegt, obwohl doch die Hälfte der Bevölkerung weiblich ist? Liegt es am Ende an einem althergebrachten Denken, dass vor 100 Jahren eigentlich hätte enden sollen und dass doch über Generationen hinweg immer noch in manchen Köpfen vorherrscht? 

Mich machen diese Männerbünde ganz krank. Dieses Gönnerhafte, dieses üble von-oben-herab. Das ist allgegenwärtig: Täglich finde ich in Berichterstattungen über Politikerinnen beschämende Kommentare  oder gar Attacken gegen Kleidung, Frisur oder Figur. Gehts noch? Was hat das Aussehen mit der Politik zu tun? Diese Plattitüden sind so flach, aber sie sind immer wieder da und immer wieder werden sie mit einem Schulterzucken abgetan. Nach dem Motto: Mädel, hab dich nicht so. Ich bin fest überzeugt: Die ganze #metoo-Debatte fängt genau hier an: Bei der Alltagsdiskriminierung, beim allgegenwärtigen und vielerorts gesellschaftsfähigen Sexismus. Dem werde ich Grenzen setzen – versprochen!

Die Parteigeschichte von uns Grünen ist geprägt vom Feminismus und von Frauen, die ihre Rechte durchsetzen – mit den Männern wenn möglich, gegen sie wenn nötig. 

Doch am Ziel sind wir noch längst nicht: Wir kämpfen weiter dafür, Chancen, Macht, Geld und Zeit endlich gerecht zwischen Frauen und Männern zu teilen. Frauen und Männer brauchen gleiche Chancen und keine Rollenklischees, die sie einschränken. Und vor allem brauchen wir kein rollback der Geschichte, keine neuen Frauenfeinde, die Frauen am liebsten zurück an den Herd schicken würden. Ihnen rufe ich zu: Legt euch auf den Abfallhaufen der Geschichte.