Korruption im Europaparlament: Hätten bessere Transparenzregeln den Fall Kaili verhindern können?

“Der Einfluss von Dritten auf die EU-Politik muss transparent sein. Wir brauchen die verpflichtende Angabe von Treffen mit Interessenvertretern  – egal ob diese mit Wirtschaft, Zivilgesellschaft oder Drittstaaten stattgefunden haben, mindestens für alle wichtigen Amtsträger im Europaparlament”, kommentiert der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund. Er ist Ko-Vorsitzender der interfraktionellen Arbeitsgruppe Anti-Korruption. “Der Einfluss von Lobbyisten auf die EU-Politik muss  nachvollziehbar sein. Das hätte einen Fall wie Kaili zwar nicht verhindert, würde aber dabei helfen, die Netzwerke von Lobbyisten offenzulegen und eine Kultur zu schaffen, die eine Wiederholung unwahrscheinlicher macht.”

Nachdem EP Vizepräsidentin Eva Kaili am vergangenen Freitag wegen des Verdachts auf Korruption, Geldwäsche und der Einflussnahme von Drittstaaten verhaftet wurde, werden die Rufe nach einer Nachschärfung der EU-Ethikregeln lauter. Hätte der Fall Kaili durch stärkere Regeln verhindert werden können?  Dazu hat Freund das Wichtigste im Überblick zusammengestellt. 

 

Welche Regeln gibt es aktuell für das Verhalten von Europaabgeordneten und wie werden sie durchgesetzt?

Korruptionsverbot: Mit Unterzeichnung des Verhaltenskodex verpflichten sich die Abgeordneten zu Beginn ihres Mandats, keine Abstimmung im Interesse einer anderen Person oder Einheit vorzunehmen. Auch dürfen sie keinen direkten oder indirekten finanziellen Nutzen oder Gegenleistung für die Beeinflussung von Entscheidungen auf EU-Ebene annehmen. 

Nebentätigkeiten: Laut dem Verhaltenskodex für EU-Abgeordnete dürfen die Mandatsträger*innen zwar grundsätzlich bezahlte Tätigkeiten neben dem Mandat ausüben, als Mitglied in externen Gremien sitzen oder Unternehmensbeteiligungen besitzen. Allerdings darf dies nur geschehen, wenn die Nebentätigkeiten bzw. finanziellen Interessen keinen Interessenkonflikt darstellen, die “die Ausübung seines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments ungebührlich beeinflussen könnte”. Die Ausübung einer bezahlten Lobbyarbeit, die in direktem Zusammenhang mit den Entscheidungsprozessen in der EU zusammenhängt, ist damit verboten. 

Damit die Existenz eines möglichen Interessenkonflikts auch kontrolliert werden kann, müssen sämtliche Nebentätigkeiten und -einkommen, inklusive deren Höhe, in einer öffentlichen Erklärung über finanzielle Interessen der Abgeordneten angegeben werden. Diese sind auf der Website des Parlaments veröffentlicht. Eine gründliche Kontrolle von Seiten des Parlaments über die Richtigkeit und Vollständigkeit der in den Erklärungen gemachten Angaben gibt es trotz wiederholter Forderung einer Mehrheit der Abgeordneten nicht. Es ist möglich und leider der Fall, “Beratung” als Nebentätigkeit zu nennen, ohne Angabe für wen und zu welchem Thema.

Geschenke: Der Verhaltenskodex sieht außerdem vor, dass EU-Abgeordnete keine Geschenke im Wert von über 150 Euro annehmen dürfen. Jegliche Geschenke müssen der Parlamentspräsidentin übergeben und anschließend von der Parlamentsverwaltung verwahrt werden. Das Parlament führt hierüber eine öffentliche Liste. Die Erstattung von Reise-, Unterbringungs- und Aufenthaltskosten dürfen angenommen werden, wenn die Abgeordneten auf Einladung von Dritten an einer organisierten Veranstaltung teilnehmen, um Ihre Aufgaben im Rahmen des Mandats zu erfüllen.

Kontakte mit Interessenvertreter*innen: Laut Geschäftsordnung müssen Abgeordnete, alle Lobbytreffen, die in Zusammenhang mit einem Bericht stehen, für den sie als Berichterstatter*in, Schattenberichterstatter*in, oder als Ausschussvorsitzende verantwortlich sind, auf der Parlamentswebsite veröffentlichen. Während die Veröffentlichungspflicht bei Ausschussvorsitzenden grundsätzlich für alle Lobbytreffen gilt, gibt es keine vergleichbare Pflicht für die Präsidentin, die Vizepräsident*innen oder Fraktionsvorsitzende. Drittstaaten zählen zur Zeit nicht zu Interessenvertreter*innen, weshalb Gespräche mit diesen nicht unter die Veröffentlichungspflicht fallen.

Bei welchen Regeln braucht es dringend eine Nachschärfung?

Unabhängige Ethikbehörde: Die Überwachung der oben genannten Regeln obliegt zur Zeit einem Beratungsausschuss, der aus fünf Abgeordneten besteht und über keine Durchsetzungskompetenzen verfügt. Konkret führt dies dazu, dass bestehende Regeln kaum bis gar nicht kontrolliert werden. So wurde in den letzten Jahren abgesehen von einer mündlichen Rüge erst in einem Fall eine Finanz-Sanktion gegen eine/n Abgeordneten verhängt, obwohl mindestens 24 Verstöße gegen den Verhaltenskodex bekannt sind.

Transparenz über Einflussnahme von Drittstaaten: Drittstaaten versuchen nachweislich die Politik der EU zu beeinflussen. Daher sollten sie zukünftig unter die allgemeine Definition von “Interessenvertreter*innen” fallen. Damit müssten sich nicht nur Lobbyist*innen im klassischen Sinne, sondern auch Drittstaaten im Lobbyregister anmelden und genaue Angaben über ihre Lobbyaktivitäten und -ausgaben machen. Treffen von Abgeordneten, EU Kommissar*innen und Generaldirektor*innen der Kommission mit Vertreter*innen von Drittstaaten würden veröffentlicht werden müssen und abhängig von der vorherigen Registrierung sein.

Transparenz über Vermögenswerte von Abgeordneten: Momentan müssen Abgeordnete in der Erklärung über ihre finanziellen Interessen lediglich ihre laufenden Einnahmen durch Nebentätigkeiten und bestimmte Beteiligungen angeben. Es sollte darüber hinaus aber auch das Gesamtvermögen der Abgeordneten mindestens zu Beginn und zum Ende des Mandats transparent gemacht werden. Nur so kann überprüft werden, ob zusätzlich zu den in der Erklärung angegebenen Einnahmen noch weitere Zahlungen an die Abgeordneten im Laufe des Mandats stattgefunden haben.

Welchen Einfluss hätten bessere Regeln auf die Korruptionsbekämpfung?

Sollten sich die Vorwürfe gegen Eva Kaili erhärten, wären diese nicht nur ein Verstoß gegen die Verhaltensregeln des Europaparlaments, sondern auch gegen das Strafrecht. Der Einwand, es brauche deshalb kein Nachbessern bei den Verhaltensregeln, greift aber zu kurz. Vor allem bei der Kontrolle und der Durchsetzung der aktuellen Regeln gibt es massive Defizite. Wenn sich in den EU-Institutionen eine Kultur der Straffreiheit bei Verstößen gegen den Verhaltens-Kodex verbreitet, dann hat das zwangsläufig auch Auswirkungen auf das Verhalten von Abgeordneten im Europäischen Parlament. Würden die bestehenden Regeln hingegen konsequent durchgesetzt, dann würde ein mögliches Fehlverhalten noch früher erkannt – gegebenenfalls sogar noch bevor es im Bereich des Strafrechts landet.

Zudem würde mehr Transparenz auch die Aufarbeitung und die Aufklärung von möglichen Straftaten von Mandatsträger*innen erheblich erleichtern. Es wäre ersichtlich, welche Drittstaaten wieviel Geld für ihre Lobbyarbeit in Brüssel ausgeben und mit welchen Abgeordneten und Kommissionsmitarbeiter*innen sie sich getroffen hätten. Treffen im verborgenen wären so nicht möglich. Muster von Treffen wären ersichtlich.